Hintergründe zum Thema Flucht

  • Die Anzahl der Geflüchteten lag bis Ende 2020 bei 82,4 Millionen weltweit (darunter auch Binnenvertriebene, also Menschen die innerhalb der eigenen Landesgrenzen auf der Flucht sind).
  • Syrien bleibt weltweit das größte Herkunftsland von Geflüchteten. Ein Großteil der weiteren Geflüchteten stammen aus Venezuela, Afghanistan, Südsudan und Myanmar, Ostafrika, dem Jemen, Irak, der Zentralafrikanischen Republik, Burundi und zunehmend auch der Ukraine.
  • Über 80% der weltweiten Geflüchteten finden in Nicht-westlichen Staaten Asyl. Die 10 größten Hauptaufnahmeländer sind (Stand Ende 2020) Türkei, Kolumbien, Pakistan, Uganda, Deutschland, Sudan, Libanon, Bangladesch, Iran, Äthiopien. Deutschland ist dabei das einzige EU Land.
  • 1,4 Millionen Geflüchtete und Asylsuchende lebten Ende 2020 in Deutschland
  • Die Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern in Deutschland im Jahr 2021 waren Syrien, Afghanistan, Irak, Türkei, Somalia, Georgien, Eritrea, Nigeria und dem Iran.
  • 63,3% der Asylantragstellenden im ersten Halbjahr 2021 waren Männer

*Die Angaben stammen aus dem BamF Soko Halbjahresbericht 2021
sowie der offiziellen Seite der Uno Flüchtlingshilfe 

Warum flüchten Menschen?

Die Gründe, die Menschen zur Flucht zwingen, sind vielfältig. Sie können kriegerische Konflikte, Hunger, Umweltkatastrophen, politische oder anders geartete Form der Verfolgung, ökonomische Not, Ausbeutung oder die generelle Hoffnung auf bessere Lebensumstände beinhalten. Auch Faktoren wie Geschlecht, Klasse und Ethnie (Herkunftsregion, Sprache, Hautfarbe, Religion) können die Fluchtursache maßgeblich bedingen. So können etwa Angst vor Vergewaltigung und/oder religiöser und ethnischer Verfolgung Ausschlag für die Entscheidung zur Flucht geben.

Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Fluchtgründe selten eindimensional sind. Oft kommen mehrere Gründe für die Flucht zusammen, die außerdem in Wechselwirkung zueinander stehen: Zum Beispiel die Bedrohung durch Hungersnot wegen des Klimawandels mit deshalb parallel wachsender Kriminalität im Land sowie stetig schlechter werdenden Möglichkeiten eine verlässliche Einkommensquelle und damit Nahrungsgrundlage zu finden.

Definition von Flucht

Im internationalen Recht spricht man von Flüchtlingen, nicht Geflüchteten.
Weltweit gibt es hier sowohl sprachlich als auch juristisch strenge definitorische Begrenzungen in Bezug auf Flucht und die Anerkennung als Flüchtling, die damit darüber entscheiden, ob ein Mensch unter den internationalen Flüchtlingsschutz fällt und ihm ein Recht auf Schutz und Asyl zugestanden wird. Juristisch relevant sind hier vor allem die Unterscheidungen zwischen Migranten, Flüchtlingen und Binnenflüchtlingen (auch displaced persons = Menschen die innerhalb ihrer eigenen Landesgrenzen auf der Flucht sind). Flüchtlinge sind nach internationalem Recht immer auch Migranten, Migranten aber nicht zwangsläufig Flüchtlinge. Während die internationale Völkergemeinschaft davon ausgeht, dass Migranten freiwillig wandern, muss, um im internationalen Recht als Flüchtling anerkannt zu werden, ein die Flucht bedingender Zwang nachgewiesen werden. Völkerrechtlich ist nur derjenige ein Flüchtling, der sein Land aus „Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung“ verlässt. (Art. 1 der Flüchtlingskonvention).

Flucht ist nicht gleich Flucht

Entscheidend dafür, ob es Menschen überhaupt möglich ist zu flüchten, wie und unter welchen Bedingungen ihre Flucht verläuft und ob sie erfolgreich ist sind u.a. Faktoren wie Geschlecht, Bildungshintergrund, Behinderungen und soziales- und finanzielles Kapital. So wären beispielsweise die Fluchtbedingungen eines männlichen, weißen Europäers aus der Mittelschicht und die Gefahren denen er auf der Flucht ausgesetzt wäre, grundlegend unterschiedlich von denen einer jungen Frau aus Haiti, die der dortigen Arbeiterklasse angehört, keine Fremdsprache spricht und nicht über finanziellen Mittel verfügt. Selbst wenn beide unter gleichen Ausgangsbedingungen aus demselben Land fliehen müssten, wären die Gefahren denen sie dabei ausgesetzt wären völlig unterschiedlich und ihre Flucht würde grundlegend anders verlaufen.

Darüber hinaus spricht man, in Anlehnung an die Definition der Aufnahmerichtlinien der Europäischen Union, von besonders vulnerablen Gruppen bei Geflüchteten, wenn sie unter eine, oder mehrere, der folgenden Merkmale fallen:

  • Minderjährige
  • unbegleiteten Minderjährige
  • Behinderte
  • ältere Menschen
  • Schwangere
  • Alleinerziehenden mit minderjährigen Kinder
  • Opfern des Menschenhandels
  • Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen
  • Personen mit psychischen Störungen und
  • Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der Verstümmelung weiblicher Genitalien.“

Allgemein ist festzuhalten, dass Flucht, bereits beginnend mit der Entscheidung zur Flucht, bis hin zur Flucht selbst, eine durchgehend aktive Handlung ist, die jeder Geflüchtete unterschiedlich erlebt. Ebenso individuell wie die Fluchtgründe und Fluchterfahrungen ist auch die Wahrnehmung darüber, wo Flucht beginnt und wo sie endet: Für die wenigsten  Geflüchteten beginnt ihre Flucht erst mit dem offiziellen Überschreiten der Landesgrenzen, sondern in dem Moment, in dem sie sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen. Ebenso wenig, wie der Beginn der Flucht allgemeingültig definiert werden kann, endet die Flucht in der Wahrnehmung der Flüchtenden tatsächlich dort, wo beispielsweise in Deutschland der Status des Flüchtlings offiziell in den des Asylbewerbers übergeht.

Warum verwenden wir bei Yadan Biad den Begriff Geflüchtete statt Flüchtlinge?

Es gibt zwei Hauptgründe, warum wir den Begriff Geflüchtete dem der Flüchtlinge vorziehen:

  1. Nach der völkerrechtlichen Definition ist ein Mensch, der sich aufgrund ökonomischer Not gezwungen sieht seine Heimat zu verlassen kein Flüchtling, sondern ein Migrant. Auch Vertriebene und/oder Flüchtende, die zwar heimatlos sind, sich jedoch noch innerhalb ihres Landes aufhalten, werden als Binnenflüchtlinge definiert und fallen damit weder unter den internationalen Flüchtlingsschutz noch werden sie in offiziellen Flüchtlingsstatistiken erfasst. Wenn wir von Geflüchteten, bezieht das, anders als der Flüchtlingsbegriff, alle genannten Fluchtgründe mit ein.
  2. In Deutschland besteht auf gesellschaftlicher Ebene die Tendenz, Flüchtlinge als soziale Kategorie zu betrachten und den Begriff mit  Attributen wie Hilflosigkeit und Passivität zu verbinden. So ist die Mehrzahl der nach dem mit der Endsilbe -ling gebildeten Wörter nicht nur geschlechtsneutral, sondern häufig negativ konnotiert und/oder geht mit passiven Zuschreibungen einher (z.B. Feigling, Prüfling, Impfling, Lehrling, Findling, Sträfling, Zögling, Häftling, Schützling, Pflegling).
    Durch die Tendenz, Flüchtlinge in der Darstellung zu einer anonymen Masse passiver und hilfsbedürftigen Opfer zu degradieren und vom Prototyp des männlichen Flüchtlings auszugehen, werden weibliche Flüchtlinge außerdem marginalisiert oder gar unsichtbar gemacht.

Während das Wort Flüchtlinge also tendenziell abwertend ist und eine passive, homogene, geschlechtsneutrale Masse suggeriert, lassen die Ausdrücke Geflüchtete und Geflüchtete*r eine Unterscheidung nach Geschlecht zu, sind wesentlich neutraler und individueller und spiegeln den aktiven Charakter der Flucht besser wider.

Genderspezifische (Hinter-)Gründe von Flucht

Zwar stellen Frauen und Mädchen über die Hälfte aller Geflüchteten weltweit, aber die Zahl der weiblichen Geflüchteten, die in Europa ankommen, liegt nur bei nur knapp 30 % . Dies liegt daran, dass Frauen im Gegensatz zu Männern öfter innerhalb des Landes oder in nahegelegene Nachbarländer flüchten, die einfacher und schneller zu erreichen sind. Einige Ursachen für die unterschiedlichen Fluchtrouten von Männern und Frauen sind die folgenden:

  1. Je länger die Fluchtroute, desto höher sind die damit verbundenen Kosten wie für Schlepper, Verpflegung oder Bestechungsgelder. Der Einfluss finanzieller Ressourcen ist also sowohl in Bezug auf die Entscheidung zur Flucht als auch auf das Fluchtziel ausschlaggebend. Während Männer in ihren Heimatländern noch immer überwiegend die Rolle des Haupternährers der Familie übernehmen und somit direkteren Zugriff auf das Geld haben, gilt für Frauen oft das Gegenteil. Damit sind sie auch stärker vom Einverständnis eines Mannes abhängig, als es umgekehrt der Fall ist.
  2. Da aufgrund begrenzter finanzieller Mittel und gleichzeitigen hohen Fluchtkosten häufig nur eine Person innerhalb der Familie flüchten kann, wird meist derjenige innerhalb der Gruppe ausgewählt, der für die Herausforderungen der Flucht am besten gewappnet scheint. Flucht ist nämlich nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Insbesondere die Fluchtroute bei Überquerung des Mittelmeeres ist oft lebensgefährlich. Männern wird meist mehr Körperkraft und eine größere Fähigkeit zugeschrieben, die Flucht erfolgreich zu meistern, um dann in der Lage zu sein, die restliche Familie nachzuholen, während Frauen traditionell eher die Kinderbetreuung übernehmen, was sie in ihrer Mobilität zusätzlich einschränkt.
  3. Für Frauen bedeutet die längere Fluchtdauer nach Europa (statt der Flucht innerhalb des Landes oder in ein Nachbarland) außerdem eine weit größere Gefahr, Opfer von sexueller Gewalt zu werden, deren Verbreitung während Krieg, Flucht und Asyl begünstigt wird. Neben dem taktischen Einsatz sexueller Gewalt als Kriegsmittel, werden Frauen während der Flucht von Nötigung, Verschleppung durch professionelle Banden und sexuelle Ausbeutung durch Schmuggler besonders bedroht. Besonders gefährdet sind sie dann, wenn sie allein oder mit ihren Kindern flüchten und/oder ihr Geld nicht mehr ausreicht, um die Flucht fortsetzen zu können. Obwohl sexuelle Gewalt insbesondere für alle von Krieg und Gewalt bedrohten Frauen nicht nur ein ausschlaggebendes Fluchtmotiv darstellt, sondern auch eine grundlegende Gefahr während der Flucht und im Asyl, finden  internationalen Flüchtlingsrecht geschlechtsbedingte Fluchtgründe keinerlei Erwähnung.

Leider werden geflüchtete Frauen in Deutschland in den Medien und der Öffentlichkeit weitgehend als Ehefrauen und Mütter wahrgenommen  und damit als passive Begleiterinnen männlicher Geflüchteter. Wichtig ist jedoch, den Mut, die Kraft und Entschlossenheit wahrzunehmen und anzuerkennen, die geflüchteten Frauen aufbringen müssen, um die Flucht nach Deutschland zu meistern.

Durch unsere Kooperation mit zwei Unterkünften für geflüchtete Frauen und Kinder in Berlin Friedenau/Schöneberg unterstützen wir insbesondere allein reisende und/oder alleinerziehende geflüchtete Frauen und ihre Kinder.

Integration gemeinsam gestalten!

Engagieren Sie sich unkompliziert und direkt in Ihrem Kiez:
Werden Sie Begleiter*in für eine*n Geflüchtete*n!